Nach gut vier Monaten auf dem afrikanischen Kontinent und einem Abstecher über Dubai ging es für uns beide weiter nach Südamerika. Ein neuer Kontinent, neue Kulturen und Lebensverhältnisse sowie eine neue Sprache und spannende Volunteerprojekte im Regenwald liegen vor uns. Bei unseren Planungen für das Sabbatical war vor allem Alex daran gelegen, unterschiedliche Einsatzorte und Arbeiten zu erledigen und so haben wir im Voraus nach diversen Volunteerprojekten mit Tieren recherchiert. Diese gibt es zu Hauf – aber mal wieder auch zu verrückten astronomischen Preisen, die von Volunteerseiten angeboten werden. Alle klingen verlockend und reichen von Meeresschildkröten am Strand retten bis hin zur reißerisch aufgezogenen Arbeit mit Wildkatzen wie Geparden oder Löwen. Abgesehen von den Kosten spricht uns diese Arbeit meist weniger an, denn die Beschreibungen gleichen meist mehr einem „Streichelzoo“ und Fototourismus und die gestellten Unterkünfte entsprechen luxuriösen Apartments, zum Teil mit eigenem Pool. Das macht uns dann doch etwas stutzig und lässt uns weiter im Internet recherchieren, bis wir auf die Website von Merazonia direkt stoßen und neugierig auf die Volunteerarbeit vor Ort werden. Wir nehmen schon im Frühjahr 2022 Kontakt mit der zuständigen Leiterin auf und planen langfristig unseren Einsatz, da das Interesse für Volunteerarbeiten wie diese insgesamt hoch ist und die Plätze begrenzt sind. Während unserer gesamten Zeit sind die Kontraste wohl kaum so groß wie bei unserer Ankunft in Merazonia, gut eine Stunde entfernt von Banos und etwa sechs Stunden von Quito, der Hauptstadt Ecuadors.
Merazonia ist ein Rehabilitationscenter für verletzte heimische Tiere des Regenwaldes in Ecuador und seit 2004 finden auf gut 100 Hektar Regenwaldfläche verletzte Tiere eine Auffangstation, die von einem engagierten Ehepaar aus den Niederlanden und Großbritannien geleitet wird und mithilfe vieler internationaler Freiwilliger unterstützt wird. Das Besondere an dem Projekt ist, dass ein Großteil der Tiere wieder ausgewildert wird und zum Wohl der Tiere auch keine Besucher ähnlich wie in einem Zoo Zutritt haben. Das erachten wir beide als sehr wichtig, denn allzu oft haben wir während unserer Reise schon Projekte gesehen, die einen riesigen Besucherstrom tagtäglich zulassen und nicht auf die Auswilderung der Tiere pochen. So tauchen wir beide für knappe vier Wochen in eine andere Welt, fernab der Zivilisation und jeglichem europäischen Lebensstandard – denn wir sind mitten in der Natur und außer den Volunteeren treffen wir auf keine weitere Menschenseele vor Ort. Vom nächst größeren Ort Mera – was fast schon ironisch klingt, wenn man das Örtchen mit einer Bushaltestelle und zwei kleineren Minishops überhaupt Ort nennen kann – trennen unseren Einsatzort eine rustikal geschotterte Holperpiste, die nur mit Offroad Jeeps befahrbar ist und uns in den Regenwald mit seiner üppigen grünen wilden Vegetation führt. Es ist ein wilder Ritt und nach einigen Schlaglöchern sind wir nach einer halben Stunde fast am Zielort angekommen, denn die letzten Meter geht es voll bepackt zum Ziel. Über die Zeit häufen sich doch ein paar Kleinigkeiten an, die irgendwie nicht mehr in die großen schweren 23 Kilo Duffle wollen… so schleppen wir Taschen, Rucksäcke und Duffle Stück für Stück mit uns mit und trainieren unsere körperliche Fitness zum Leidwesen unserer Rücken… Eine kleine Holzbrücke führt über einen reißend und kristallklar glitzernden Fluss und über weitere schmale Trampelpfade über Stock und Stein gelangen wir schließlich zu unserer neuen Einsatzstätte. Alleine der Weg dorthin ist ein kleines Abenteuer mit dem ganzen Gepäck und wir staunen nicht schlecht, als wir unser neues Zuhause für die nächsten 4 Wochen erblicken.
Wir kommen am Nachmittag an und haben Glück, eine der Volunteere anzutreffen, denn die meisten befinden sich gerade in ihren eingeteilten Schichten bei den Tieren. Sie führt uns in Windeseile zu den wichtigsten Gemeinschaftsräumen und erklärt uns im Groben das Zusammenleben und die Abläufe vor Ort. Um 7.30 Uhr geht es in der Früh los, um 10.00 Uhr findet eine Pause bis 11.00 Uhr statt und danach geht es nochmal bis um 13.30 Uhr ran. Nach einer Stärkung am Mittag beginnt um 15.00 Uhr die letzte Schicht, die bis 17.00 Uhr andauert und direkt in das alltägliche „Animal five“ übergeht. Alle Volunteere und Koordinatoren treffen sich im Anschluss an die geleistete Arbeit zu einer gemeinsamen Runde, um sich über Besonderheiten und Geschehnisse des Tages auszutauschen. Ein wichtiges Gesprächsthema bilden oft die Ausscheidungen der Tiere, die wichtige Hinweise auf den Gesundheitszustand der Schützlinge liefern. Das ist am Anfang doch sehr gewöhnungsbedürftig genauso wie die Arbeit mit einer Vielzahl von Tieren, die wir vorher vielleicht nur in Dokus gesehen haben oder noch gar nicht kannten. Der gemeinsame Austausch sowie die Kommunikation findet auf Englisch statt, denn die Volunteere kommen von überall aus der Welt und sind alterstechnisch breit aufgestellt. Die Räume und Ausstattung in Merazonia ist rustikal und den klimatischen und infrastrukturellen Bedingungen vor Ort angepasst. Unser Schlafdorm hält Platz für 11 Volunteere bereit, darüber geht es über eine kleine Holztreppe zum Gemeinschafts Chill Out Raum und oben drüber haben noch 4 weitere Volunteere Platz unter dem Dach. Für Longterm Volunteere gibt es sogenannte Cabins, die auf dem Gelände verteilt sind und etwas mehr Privatsphäre ermöglichen. Wir müssen schon zugeben, dass es gerade als Paar etwas komisch am Anfang war, mit fremden Leuten für einen Monat das Schlafzimmer zu teilen und so gut wie keinen Rückzugsort für sich zu haben. Genauso erschreckend und kontrastreich waren die sanitären Anlagen, um genau zu sein die Toiletten… Regenwald Plumpsklos versprühen ihren eigenen Geruch und Charme, an den sich vor allem Julia erst einmal gewöhnen musste. Einzig und allein ein großer Plusfaktor der Sanitäranlagen war das warme Wasser aus den Duschen, das mit Gas erzeugt wurde. Dieser Luxus ist dann so richtig zu schätzen, wenn man nach einem vollen Arbeitstag mit mehreren Regenduschen am Tag die nassen Klamotten ablegt und sich erstmal wieder aufwärmen kann. Das besondere am Regenwaldduschen – keine Elektrizität, falls es doch mal am Abend später wird. So behilft man sich mit Kerzen in der Dusche, die dem ganzen einen besonderen Zauber verleihen.
Auch in der großen Gemeinschaftsküche, in der es immer frisches Obst und Gemüse zur Verfügung gab sowie die wichtigsten Grundnahrungsmittel, um sich selbst zu bekochen, kamen wir ohne elektrischen Strom aus. Gekocht wurde auf Gasherden und abends halfen auch hier eine Batallion aus Stabkerzen aus, welche in ein Candle Light Dinner übergingen. Manchmal und je nach Laune der Volunteere wurde gemeinsam gekocht am Abend – von Ofengemüse über Spaghetti mit Carbonarasoße, deren Speck durch rote Zwiebeln ersetzt wurde, bis hin zu gefüllten vegetarischen Pfannkuchen fehlte es nicht an originellen Ideen: Ganz nach dem Motto – was haben wir zur Verfügung, was können wir kombinieren, ach lass einfach ausprobieren. Durch den fehlenden Strom gab es auch keinen Kühlschrank und dementsprechend weniger Variationsmöglichkeiten, was uns aber nicht in unseren kreativen Ideen eingeschränkt hat. Im Gegenteil – die vielen für uns zum Teil neuen Früchte und Gemüsesorten, die auch den Tieren gefüttert wurden, haben wir immer wieder neu gekostet. Besonders Grenadilla hat es uns beiden angetan. Die Frucht ist orange und so groß wie in etwa eine Orange mit dem Unterschied, dass sich darin kein Fruchtfleisch befindet, sondern Kürbiskern große mit Glibber überzogene Kerne, die sowohl süß als auch knackig schmecken und sich besonders gut im Müsli zeigen. Generell waren wir begeistert von der riesigen Auswahl an Obst und Gemüse und haben hier unglaublich viel dazu gelernt.
Während unseres Aufenthaltes gehören wir schon zu den älteren Exemplaren, was uns in mancherlei Hinsicht im Sinne von Arbeitsmoral oder Gesprächsthemen zum Teil gedanklich herausgefordert hat. Für jeden Tag wird ein Arbeitsplan mit Teams und Schichten erstellt, der Struktur und Organisation vermitteln soll. An die Arbeitszeiten der Schichten wird sich militärisch genau auf die Sekunde gehalten und wer bereits früher mit der Arbeit bei den Tieren fertig ist, der muss in den Gemeinschaftsbereichen für klar Schiff sorgen. Soweit so gut und der Grundgedanke an sich überlegenswert. Nach zwei Arbeitstagen, bei denen wir meist unserem typisch deutsch gewissenhaft strukturiert und ordentlichem Arbeiten deutlich früher fertig waren und uns motiviert an die Gemeinschaftsarbeit wie Küche putzen, Toiletten schrubben oder Boden fegen gemacht haben, fiel uns doch etwas unangenehm auf, dass wir beiden damit oft die einzigen waren. Kurz vor offiziellem Arbeitsende hatten wir das Gefühl, dass urplötzlich aus allen Ecken die Volunteere geströmt kamen… das hat uns doch etwas die Nase hochziehen lassen und für unsere Arbeit bei den Tieren mehr Zeit verwenden lassen wenn wir ehrlich sind. Ich denke ihr könnt euch sicher vorstellen warum…
Bei unseren ersten Bekanntschaften mit den neuen Tieren haben wir die ersten zwei Tage immer noch einen erfahreneren Volunteer dabei, der uns alles erklärt, auf zu beachtende Dinge und Ausnahmen hinweist und mit den Tieren vertraut macht. Unser erster Einsatz ist bei den Wooly Monkeys – Wollaffen, da könnte man doch glatt meinen, dass das süße kleine Kuscheläffchen wären. Vorbei mit dem Traumgedanken werden wir durch lautes aggressives Gebrüll am ersten Arbeitstag von Diego und Carlitos begrüßt. Wow- schon irgendwie angsteinflößend beim ersten Mal, wenn man die beiden gut einen Meter großen Giftzwerge lauernd an den Käfiggittern zähnefletschend und mit enormer Kraft am Gestell wackelnd vor sich hat… also tief durchatmen und den Anweisungen von unserem Begleiter zuhören, bevor es an die Arbeit geht. Die erste Challenge steht bevor – um die Tierkäfige von Kot und alten Futterresten zu befreien, müssen beide Affen erstmal im selben Käfig ausharren, um problemlos den anderen Käfig tierfrei zu reinigen. Das hört sich leichter an als gedacht, denn die beiden sind blitzschnell und haben es faustdick hinter den Ohren. Sie kennen das Prozedere natürlich viel besser als wir und wissen, wie sie uns einen Streich spielen. Ist Diego im rechten Käfig, macht es sich Carlitos im Linken gemütlich und umgekehrt. Die Klappe zum Schließen der Käfige ist nur mit einem kurzen Metallstab verbunden und so harren wir einige Zeit aus, bis sich beide doch dazu bequemen, den Platz in einem Käfig zu teilen und wir die Öffnung schließen können. So haben wir die erste Herausforderung bezwungen und gehen voller Tatendrang in die Käfige. Dazu muss man noch sagen, dass die erste körperliche Meisterleistung schon viel früher begann mit dem Schneiden der frischen Dschungelblätter mit Macheten im Regenwald. Um den Tieren so viel Freiheitsgefühl wie möglich zu geben, gehört dieser körperliche Marathon auch zu den Arbeiten bei diversen Tieren. Mit Macheten ausgestattet haben wir erst einmal erklärt bekommen, welche Blätter giftig für die Tiere sind, welche den besonderen Vorlieben entsprechen und vor allem wo die besten Fundstücke anzutreffen sind. Gar nicht so einfach, sich vor Ort zurecht zu finden und dann die teils borstig widerspenstigen Stängel mit halb stumpfen Macheten im Blätterdschungel zu bezwingen. Dabei leisten uns immer wieder wunderschön strahlende Kolibris mit ihrem schnellen Flügelschlag Gesellschaft. Mit einem riesig bunten Blätterbündel und frisch geschnittenem Obst und Gemüse ausgestattet geht es jetzt also in den Käfig hinein, der erstmal vom Kot der Tiere befreit wird. Bei dem ganzen „Poo“ fragt sich Julia immer wieder, wie eigentlich eine der bekanntesten Filmfiguren für Kinder „Winnie Puh“ genannt werden konnte. Irgendwie schon etwas doppeldeutig… mit der Zeit und der Arbeit bei den Tieren wird es beinahe schon normal sich über Poo und andere Rückstände der Tiere sich auszutauschen und diesen zu beseitigen, wenn das am Anfang doch etwas Überwindung gekostet hat. Sobald ein Großteil des Futters in den dafür vorgesehenen Boxen sowie auf sämtlichen Spiel- und Unterhaltungsgestellen im Käfig verteilt ist und die frischen Blätter alle ihren Platz gefunden haben, geht es nach gewissenhaftem Abschließen des ersten Käfigs wieder an die geliebte Öffnungsklappe mit der großen gedanklichen Hoffnung, dass sich beide so vom neu aufgeräumten Wohnzimmer überzeugen lassen, dass sie schnurstracks dorthin wechseln. Und wir haben Glück – die beiden zögern nicht lange und genießen das angerichtete Festmahl im frisch geputzten Käfig, dass wir Käfig Numero 2 nach dem selben Prinzip wie Nummer 1 bearbeiten können. Während wir die Käfige säubern ist es spannend zu sehen, welche kulinarischen Vorlieben die beiden haben, wer in der Rangordnung höher steht und welche Geräusche sie von sich geben. Es klingt zum Teil wie ein glückliches Glucksen, was wir hören und ist ein kompletter Kontrast zu den ersten Begrüßungsschreien am Morgen.
Die Arbeit mit den Tieren ist für uns insgesamt also neu und sehr bereichernd, wenngleich auch die meisten Abläufe immer wieder sich wiederholen und nicht groß unterscheiden. Wir lernen extrem viel über das tierische Verhalten, besondere Futterbedürfnisse und Vorlieben der Tiere sowie besondere Arrangements für beispielsweise wissbegierige Marder, die stets nach spannendem Freizeitvertreib suchen. So ist es nicht alleine damit getan, die Käfige zu säubern sowie das Futter aufzufüllen, sondern auch besondere Bereicherungsangebote kreativ anzufertigen. Gerade bei Ayla, einem Tayra, sind wir in der sogenannten „Funrunde“ ein anderes Mal eingeteilt. Neben dem gewöhnlichen Käfigsäubern und Futterschneiden liegt es viel an unserer Kreativität, den kleinen süßen Marder bei Laune zu halten und die Leckerbissen in eigens kreierten Blätter- und Geästbällen zu verstecken. Mo, der Nasenbär in der selben Funrunde, liebt Würmer und Heuschrecken über alles ähnlich wie Fische, die in provisorisch gebastelten Angelkonstruktionen im angrenzenden Fluss von uns gefischt wurden. So ging es für uns in dieser Schicht viel in den Matsch, mit einem Spaten ausgerüstet auf der Suche nach Würmern. Geil – wir könnten uns kaum besseres Vorstellen und fühlen uns wie kleine Kinder zurückversetzt in alte Zeiten, in denen wir nach Regenwürmern gebuddelt haben. Die größte Freude ist es dann zu sehen, wir sehr die Tiere unsere Wühl- und Suchaktionen schätzen und die Leckerbissen verschlingen. Fressen und gefressen werden – das steht hier jeden Tag auf der Tagesordnung.
Ja – die Tiere wollen also beschäftigt werden und brauchen zum Teil eine besondere Aufmerksamkeit. Diese verschaffen sie sich nicht nur durch laut aggressives Gebrüll wie die Wooly Monkeys, die bei unserem ersten Besuch sich ordentlich Respekt verschafft haben, sondern auch durch ihre ganz besonders leise und beeindruckende Art. Die Tiere beobachten genau, reagieren auf das Verhalten der Menschen und haben alle ihre individuellen Vorlieben und Bedürfnisse, die wir mit der Zeit immer besser kennen lernen durften. Honigbären mögen kaum Gemüse und picken wenn überhaupt nur die Kerne der Gurken heraus, Tayras sind keine ausgezeichneten Fischer, lieben aber den Geschmack der Leckerbissen umso mehr. Wir müssen immer wieder schmunzeln, wenn wir die etwas treudoofen Angelversuche im kleinen aufgestellten Fischbecken bei Ayla beobachten und freuen uns mit ihr umso mehr, wenn ein Catch erfolgreich war.
Insgesamt vereinen die 100 Hektar eine ganze Bandbreite unterschiedlicher heimischer Tiere, die von einer Vielzahl an Papageien und Vögeln, einem aus einem Hotel zum Fotoshooting geretteten Puma, einem verletzt gefunden Ameisenbären und einem an Herzschwäche leidenden Honigbären sowie zwei Honigbären Jungen reichen und durch eine riesige Anzahl unterschiedlicher Affenarten und Tamarins ergänzt werden.
Tamarins waren uns vorher ein Fremdwort und wir waren von diesen süßen Tieren sofort begeistert. Sie sind in etwa so groß wie Rennmäuse, dunkelbraun und schwarz und haben einen langen felligen Schwanz. Besonders süß ist ihr Gesicht und ihr feiner Körperbau, der sie besonders grazil und zerbrechlich wirken lässt. Auch die Vielzahl an unterschiedlichen Papageien und Vögeln beeindruckt uns, zum Teil sind diese auch so zutraulich und durch ihre Erkrankung so auf Menschen angewiesen, dass sie es sich auf unseren Schultern bequem machen. Das ist aber wirklich die Ausnahme bei Merazonia, denn sofern es der Gesundheitszustand der Tiere erlaubt, steht die Auswilderung an erster Stelle. Dies erfolgt leider auch nicht mehr beim Honigbären Whistler, da dieser an einer so starken Herzschwäche leidet, dass er ohne die Medikamente nicht überlebensfähig wäre. So bekommt er neben der allgemeinen Pflege noch abends immer seine Medikamente in einem angereicherten Marmeladenklecks, den er mit Wonne verschlingt. Er ist einer der wenigen Tiere, die sehr zutraulich sind und auch auf den Arm kommen, wenngleich seine frei lebenden Artgenossen jeglichen menschlichen Kontakt verwehren und seine jungen Mitstreiter in einem anderen Käfig alles andere als menschengesinnt sind und bald wieder ausgewildert werden sollen.
Nicht zu vergessen sind unterschiedliche Säugetiere und eine kürzlich hinzugestoßene Jungeule, für die eine ganze Voliere in unseren Wochen des Aufenthalts geschaffen wurde. So beinhalten unsere Volunteer Aufgaben nicht nur die Pflege um die Tiere, sondern auch diverse Instandhaltungen der Außenanlagen und Neuerschaffungen von Gehegen, die zu schweißtreibenden Arbeitseinsätzen führen. Das ist wirklich kein Spaß und so manch einer der Volunteere hat diese Aufgabe für sich als persönlichen Wettbewerb gesehen, wie viele Stämme und Ladungen an Steinen er über die unwegsamen Pfade transportiert hat. Unmengen an Sand, riesige Steine und schwere Holzstämme sind alleine für die Wege und die neue Vogelvoliere nötig, um ein neues Zuhause für die Eule einzurichten. Die Käfige der Tiere liegen auf dem gesamten Gelände weit verteilt, leiten uns Volunteere über und durch kleine Bäche und mitten durch den Regenwald, bis wir bei unseren Schützlingen mit unseren Futtereimern, Bereicherungsangeboten und Säuberungsutensilien ankommen. Wir arbeiten immer zu zweit und haben ein Handy dabei – schließlich sind wir mitten im Regenwald und vor so mancher Gefahr nicht geschützt. Zwei Mal begegnet uns während unserem Aufenthalt eine der giftigsten Schlangen Südamerikas, einmal stattet uns eine riesige Tarantel einen Besuch nahe der Volunteer Küche ab und am letzten Tag attackieren Papageien in der Vogelvoliere einen Papagei so aggressiv, dass Alex einschreiten muss um das Leben des Vogels zu sichern und dabei selbst zum Angriffsopfer wird und ein mit einem Vogelbiss am Finger davon kommt. Jeder Tag ist vor Ort aufregend und auf seine eigene Art und Weise immer wieder herausfordernd.
So lernen wir mit der Zeit mit den Bedingungen im Rehabilitationscenter, aber auch im Regenwald selbst zurecht zu kommen. Wir sind in der glücklichen Ausgangslage, dass die schwach ausgeprägten mobilen Daten bis zu uns in den Regenwald reichen und wir zum Laden der Handys eine neu vor Ort eingerichtete Solaranlage haben. Die mobilen Daten sind irgendwie ein Fluch und Segen zugleich – komplett fernab der Zivilisation sind wir dadurch nicht, bekommen den normalen Wahnsinn doch irgendwie mehr mit als manchmal gewollt, sind zugleich aber auch erreichbar und können wichtige to Do´s erledigen, wenn auch in einem drastischen Schneckentempo.
Den Rest des zivilen Lebens lassen wir zum Großteil im Regenwald hinter uns und tauschen künstlich beleuchtete Zimmer gegen eine Candle Light Atmosphäre am Abend, elektrische Klospülungen werden durch anfangs sehr gewöhnungsbedürftige Regenwaldplumpsklos ersetzt, Waschmaschinen durch Handwäsche oder den wöchentlich angebotenen externen Wäscheservice in der nächst gelegenen Stadt und unsere sorgfältig für die achtmonatige Reise ausgewählten Klamotten werden nun durch eine Ansammlung aus einem bunten Sammelsurium ehemaliger Volunteerkleidung abgelöst. Zugegeben – besonders sexy sind unsere Outfits vor Ort nicht und sind meist feucht bis nasskalt, wenn es mal wieder ergiebig geregnet hat und die Sonne im gefühlten Winterschlaf verweilt. Aber sie sind praktisch und vor allem eines: Arbeitsklamotten, bei denen uns kein einziger Dreckklumpen oder Kotrückstand groß stört.
So ist das sonnig trockenwarme Klima aus den Emiraten im Regenwald ein Fremdwort – vielmehr kämpfen wir anfangs mit starken sinnflutartigen Regengüssen, die uns teilweise zweimal am Tag bis auf die Haut durchnässen und keine Gnade mit uns kennen. Da hilft es nichts – Regenjacken und Gummistiefel an und auf zu den Tieren, die im Übrigen meist auch nicht von der kalten Dusche begeistert sind und sich zum Großteil in den letzten Ecken der Käfige unter den Dächern oder in ihren Boxen ausharren. Wir sind leider meist nicht so klein, um uns Unterschlupf in den Käfigen zu suchen und so ist es ein gedanklicher Wettkampf im Regenerguss gedanklich stark zu bleiben und gute Laune zu behalten. Für uns beginnt in der Folge meist die größte Challenge – die Klamotten wieder trocken bekommen, was im feuchten Klima und den ständig wieder einsetzenden Regenfällen sich schlussendlich zur Sysiphusaufgabe herauskristallisiert. Mit der Zeit nehmen wir es alle mit Humor, gewöhnen uns an die speziellen Bedingungen und lernen die besondere Atmosphäre zu schätzen. Nicht umsonst strahlt das Motto an unserem Volunteerhaus in bunten Farben: „Some people feel the rain, others just get wet“ (Bob Marley). Atemberaubende Sternenhimmel fernab jeglicher Lichtverschmutzung, den Abendausklang unter Bananenblättern in der Hängematte bei Grillenzirpen und den Geräuschen der umliegenden Tiere zu gestalten und erfrischende Dschungelbäder am nahegelegenen privaten Naturwasserfall zu genießen machen den besonderen Reiz, vor allem wenn die Sonne scheint.
Die vier Wochen in Merazonia haben uns bereichert, herausgefordert und geprägt. Das Leben im Regenwald und die Arbeit mit den Tieren ist während unserer achtmonatigen Auszeit ein spannendes Erlebnis, das uns sicher noch lange nachhaltig begleiten wird. Weitere Infos zum Volunteereinsatz oder Spendenmöglichkeiten für das Projekt gibt es unter merazonia.org.