Nach der Zeit bei we care for them haben wir Uganda noch nicht verlassen, sondern sind für drei weitere Wochen bei „Sosolya“ in Ugandas Hauptstadt geblieben. Sosolya Undugu Dance Academy ist eine Art Schwestern- und Brüderschaft, die sich um die Erziehung und Bildung der Kinder in Kampala bemüht und ein Kulturzentrum beheimatet. Undugu selbst kommt aus dem swahelischen und bedeutet Brüderschaft/ Schwesternschaft. An erster Stelle der Undugu Familie steht dabei die Kultur und das Lebensgefühl selbst – als Schwestern und Brüder und als große Familie, die gemeinsam Probleme löst und Lebenslagen und Krisen gemeinsam begegnet. Die Undugu Familie ist mittlerweile in ganz Ostafrika verteilt und hat einen ihrer Zweige in Kampala bei den Sosolyas. Begonnen hat alles in einem kleinen „Center“, wie sie es hier liebevoll nennen, in dem die Kinder nicht nur eine Art Vorschule erhalten haben, sondern auch in landestypischen Tänzen und Trommelrhytmen geschult wurden. Um die 85 Kinder beherbergt das Center mittlerweile, das wir während unserem Aufenthalt besucht haben und herzlich empfangen wurden. Wir haben es uns um ehrlich zu sein deutlich größer vorgestellt und waren auch von der Gegend und der Ausstattung vor Ort etwas schockiert. Es sind einfach doch ganz andere Rahmenbedingungen an Räumen, Materialien für die Bildung der Kinder und sanitären Anlagen. Die Kinder sitzen in den zwei Klassenzimmern sehr eng aufeinander und erhalten grundlegende erste Basiskenntnisse, die sie für die Primary School benötigen. Wir waren überrascht, wie viel das im Vergleich zur deutschen Vorschule schon ist… das Alphabet, erste Rechenaufgaben, Basiswortschatz in Englisch. Für die Kinder waren wir sehr interessant und die Augen waren komplett auf uns gerichtet. Der Leiter des Centers, Francis, führte uns durch die Anlage und stellte uns auch einem Mann vor, der für die Kinder Flipflops aus alten Autoreifen herstellt. Wir sind sehr angetan von dieser Upcycling Idee und haben uns auch gleich zwei Paar maßschneidern lassen.
Um einen Eindruck von den Tanz- und Trommelkünsten der Sosolya Undugu Dance Academy zu erhalten, durften wir gleich am Ankunftstag Sonntagabend die Show der Kids bewundern. Diese findet wöchentlich in Kaazi, einem Stadtteil Kampalas, der wunderschön am Lake Viktoria gelegen ist, statt. Seit Beginn der Corona Pandemie und dem steigenden Anteil unbeaufsichtigter Straßenkinder in Kampala hat die Organisation auf dem Gebiet der Scouts Kampalas, die wir mehr oder weniger mit Pfadfindern beschreiben würden, ein Grundstück gepachtet und mit Schlafsälen, sanitären Anlagen, einem Tanzstudio und vielem mehr ausgestattet. Vieles davon wurde in Eigenregie geplant und gebaut. Insgesamt sind dort rund 200 Kinder mittlerweile beheimatet, die Teil der Sosolya Familie geworden sind und einen sicheren Zufluchtsort gefunden haben. Das Gebiet ist riesig und stellt auch einen Pool, Grill- und Lagerfeuerplatz sowie einen kleinen Shop zur Verfügung. Die Kinder haben hier wirklich einen großen Freiraum, um ihren individuellen Bedürfnissen nachzugehen. Nach der Schule und besonders am Wochenende hat hier das Ausleben verschiedener Begabungen und Ausprobieren verschiedener Angebote Priorität. Das Verständnis von Bildung und Erziehung ist hier im Gegensatz zum Land glücklicherweise deutlich moderner und offener. Dem Leiter der Sosolyas ist eine selbstbestimmte und vor allem selbstreflektierte Erziehung sehr am Herzen gelegen.
Nun aber zurück zur Show der Kids. Sobald die Dunkelheit am Sonntagabend eingebrochen ist, erstrahlte die Bühne der Tanzshow in bunten Lichtern und einer Gruppe singender und trommelnder Kinder- und Jugendlicher. Aus dem Dunkeln erschienen die Kids in auffälligen Kostümen in schwarz, rot und gelb, den Landesfarben Ugandas und zogen unter Trommelrhythmen mit hüftschwingenden Körperbewegungen ein. Der ganze Körper der Kids war dabei ständig unter Bewegung und die Vibes und starken Mimiken und Gestiken passend zum Puls der Musik sind dabei sehr beeindruckend. Die Musik ist beim ersten Mal doch sehr ungewohnt und unglaublich laut, denn die Kids heizen mit ihren Trommeln ordentlich ein. Wir fühlten uns in ihren Bann gezogen und ließen die farbenfrohe Show auf uns wirken. Wer daran interessiert ist, die Gruppe einmal live zu erleben und ein Uganda Dance Music Feeling zu bekommen, kann die Kids 2023 auf ihrer Deutschlandtour mit der Kinderkulturkaravane sehen. Drei Monate geht es quer durch Deutschland mit Stops in verschiedenen Städten.
Nach diesem ersten bunten Tag ging es für uns die nächsten drei Wochen insgesamt sehr farbenfroh weiter. Wir kamen in den Genuss von einer privaten Stadttour durch Kampala, die Nganda, der Sohn des Leiters der Sosolya Undugu Dance Academy, für uns arrangierte. Wir bekamen einen ersten Eindruck von Kampala selbst und den wichtigsten Sehenswürdigkeiten (dazu mehr im Artikel über Kampala selbst 😊). Außerdem ging es für uns einen Tag ins Ziwa Rhino Sanctuary und für 3 Tage auf Safari in den Bwindi Impenetrable Nationalpark zum Gorilla Trecking (s. separate Blogbeiträge) . Mark, dem Leiter der Sosolya Familie, ist einiges daran gelegen gewesen, dass wir viel von Land und Leute kennen lernen. Und das haben wir wirklich – aus ganz verschiedenen Gesichtspunkten.
Nachdem wir bei den Sosolyas auch für den Deutsch -und Schwimmunterricht eingesetzt werden sollten, ging es an erste Absprachen und Organisationspunkte. Wo, wann, wie, wer nimmt alles daran Teil – Fragen, die wir in unserem deutschen strukturierten Verständnis für selbstverständlich zu klären halten. Hier haben wir vor Ort gelernt, dass Absprachen mit einer großen Flexibilität und Spontanität Hand in Hand einhergehen und es einen großen Unterschied macht, ob von „Ugandan Time“ oder „International Time“ die Rede ist. Pünktlichkeit ist im ugandischen Sinne nicht nur mit dem akademischen Viertel zu vergleichen, sondern mal eher mit zwei bis drei Stunden Verspätung und unvorhergesehenen Planänderungen, auf die flexibel einzugehen ist, gleichzusetzen. Es gilt geradezu als unhöflich pünktlich zu kommen, da das suggeriert, dass man nichts zu tun hätte. Autopannen, erschwerender Regen, Verkehrschaos in Kampala oder Spontanideen und Planänderungen seitens der Organisation haben von uns beiden eher planenden und strukturbevorzugenden Charakteren doch einige „Keep cool and don´t panic“ Momente abverlangt. Längere Wartezeiten mit Ungewissheit, was den Tag heute über eigentlich wirklich passieren wird und was von den Überlegungen für den Einsatz als Voluntäre realisiert werden kann, waren unser täglicher Begleiter. Wenn wir dann mit den Kids den Deutschunterricht gestalten konnten, waren wir von der Wissbegierde und der guten Aussprache der deutschen Worte sehr überrascht. Die Kids wollten so viel wissen, teilweise auch die grammatikalischen Feinheiten erklärt haben… warum ändert sich der Artikel, wieso spricht man das „ie“ nur als „i“. Im Voraus haben wir uns wahrscheinlich noch nie so viele Fragen um unsere eigene Muttersprache gemacht wie während dieser Deutschstunden. Auch die Gedanken, wie wir in relativ kurzer Zeit möglichst gewinnbringende Kenntnisse vermitteln können, haben uns anfangs vor Herausforderungen gestellt. Letztlich haben wir unserer Meinung nach wichtige Topics gestaltet – Vorstellung und Begrüßung, Hobbies, Farben, nach dem Weg fragen etc. Hinzu kommt, dass der „Unterricht“ unter erschwerten Bedingungen stattfand. Anfangs waren es an die 30 Kinder, die dem Deutschunterricht beigewohnt haben, alle mit unterschiedlichem Wissensstand zur deutschen Sprache. Von bereits getätigten Aufenthalten in Deutschland und somit ersten Basiswortschatz Kenntnissen bis hin zu fehlenden Kenntnissen in Englisch, was die Kommunikation mit dem Kind sehr schwer gemacht hat, war eine ganze Bandbreite geboten. Stühle und Tische, wie man es aus deutschen Klassenzimmern kennt, fehlten übrigens komplett. Stattdessen waren wir in einem Tanzstudio mit einer großen Spiegelwand. Beamer oder Overhead Projektor werden auch überbewertet und so haben wir aus den Papierresten, die wir gefunden haben, eine kleine Tafel kreiert, die ständig gewachsen ist. Es ist die Improvisation und Flexibilität, die wir hier immer wieder an den Tag legen mussten und eine ganz einmalige Atmosphäre geschaffen hat.
Der Schwimmunterricht war für uns sehr überraschend. Wider Erwarten konnten die meisten Kinder bereits glücklicherweise schwimmen – oder nennen wir es zum Teil „über Wasser halten“. Im Vergleich zur ersten Organisation waren die Kids hier schon um einiges weiter und wir konnten versuchen, an den Feinheiten zu arbeiten wie Beinschlag oder Armbewegungen.
Einen Tag ging es für uns beide in die Schülerrolle. Wir erhielten eine Trommelstunde und durften unser rhythmisches Geschick unter Beweis stellen. So einfach und logisch sich die Erklärungen der Kids anhörten, so schwierig gestaltete sich die Umsetzung in die Praxis. Nach ein paar lustigen Fehlversuchen haben unsere Rhythmen langsam akzeptable Klänge angenommen und es hat uns richtig Spaß gemacht, die Trommeln selbst zum Klingen zu bringen. Das rasante Tempo, das die Kids bei ihrer Show an den Trommeln an den Tag legen, ist uns trotzdem immer noch schleierhaft. Wie schnell man sich da einmal vertut und aus dem Takt kommt, ist uns bei unserer Trommeleinheit immer bewusster geworden. Hut ab Kids!
Während unseres Aufenthaltes bei Sosolya gab es gleich zwei Nationalfeiertage zu feiern. Am dritten Oktober fand zum Tag der deutschen Einheit eine große Feier statt – wir hatten den Eindruck, dass bei Sosolya aufgrund der vielen deutschen Beziehungen und Austausche der Tag der deutschen Einheit um einiges größer gefeiert wurde als in Deutschland selbst. Ugundu Rock, eine Mischung aus ugandischen Klängen und Musikinstrumenten und modernen Beats und Vocaleinlagen und ein Buffet aus Schnitzel mit Kartoffelwedges, Salat und einer vegetarischen Variante waren Hauptbestandteile der abendlichen Feier. Außerdem lernten wir weitere deutsche Freiwillige kennen, die in unterschiedlichen Organisationen Kampalas einen Auslandsdienst leisten, mit denen wir die restlichen Tage immer mal wieder uns getroffen haben. Insgesamt sind in Uganda verhältnismäßig viele Deutsche anzutreffen, natürlich vor allem in der Hauptstadt selbst.
Am neunten Oktober ist der ugandische Unabhängigkeitstag. Im Gegensatz zum deutschen eher verhältnismäßig wenig ausgeprägtem Nationalstolz wird in Uganda dieser Tag ganz besonders geschätzt und vor allem gefeiert. Die Tanzgruppe der Sosolyas stellte eine ganz außergewöhnliche Show auf die Beine, teils mit bekannten Einlagen aus unserer ersten Show, teils aber auch mit ganz neuen Elementen und Kostümen. Selbst die Kleinsten im Alter von fünf Jahren waren mit dabei und zeigten selbstbewusst ihre Tanzkünste. Eine weitere Trommelgruppe aus Burundi, zeigte ihr Geschick. Sie zogen mit den gewaltigen Trommeln auf dem Kopf balancierend ein. Wahnsinn – wir haben beide schon einmal die kleinere Variante der Trommel von A nach B getragen und waren vom schweren Gewicht überrascht. Wie komplex und anstrengend muss es dann sein, eine hüfthohe Trommel nur auf seinem Kopf zu tragen. Es sind die Momente, die uns immer wieder staunen lassen.
Resümierend hatten wir eine sehr ereignisreiche und lebendige Zeit bei den Sosolyas. So sehr uns beide der ugandische flexible und teils ungeplante Lebensrythmus gedanklich und stressmäßig herausgefordert hat, so sehr hat es unseren Aufenthalt auch mit vielen Überraschungen und schönen Momenten bereichert. Eigentlich wussten wir jeden Tag nie so wirklich, wie der Tag laufen wird und vor allem wo und wann er endet. Wir hatten also immer sämtliche Utensilien dabei, sei es für den Deutschunterricht, das Schwimmen mit den Kids, lange Klamotten, falls der Abend doch mal deutlich später wird oder die Kameraausstattung für unerwartete Fotospots wie auf Dachterrassen über Kampala oder einem ungeplanten Konzertbesuch. Alex E-Book Reader durfte auch nie fehlen, um längere Wartezeiten sinnvoll zu überbrücken. Das ugandische Lebensgefühl, die Gelassenheit, das häufig endlose Warten auf Dinge wie beim Organisieren einer Sim-Karte oder langen Supermarkt Schlangen und das irgendwie doch organisierte Chaos in verschiedener Hinsicht sind auf jeden Fall ein großer Unterschied zu unserem deutschen Alltag und können erst so wirklich nachempfunden werden, wenn man es einmal erlebt hat. Die Frage, wie in diesem Land etwas voran geht, wie die Moral zu Arbeit und Geld verdienen aussieht und die Individuen ihren Alltag ökonomisch bestreiten, lässt uns viele Fragezeichen aufkommen. Zugleich gibt das ugandische Lebensgefühl unseren durchgetakteten europäischen Grundeinstellungen vielleicht auch einen wichtigen Erfahrungsschatz mit auf den Weg: Die Spontanität und Lockerheit in unserem Alltag mehr zuzulassen und die einzelnen Momente mehr wahrzunehmen, anstatt einem voll getakteten Terminkalender minutiös und zum Teil gestresst hinterher zu rennen. Wie gut sich das europäische und afrikanische Denken verbinden lässt, werden wir die nächsten Wochen sicher noch erleben. Was aber definitiv beide Kontinente verbindet: „Beziehungen schaden nur dem, der sie nicht hat“. Mark, der Leiter der Sosolya Undugu Dance Academy, ist in ganz Uganda ausgiebig vernetzt. Vieles, was für uns anfangs unmöglich erschien, war für ihn kein Problem. Die Permission für das Gorilla Trekking im Bwindi Impenetrable Nationalpark bekamen wir ein paar Tage vor dem eigentlichen Trekking, wofür man sonst bis zu sechs Monate im Voraus Tickets buchen muss. Unterkünfte während unserer Safari waren zu Spezial Preisen, private Fahrer für Ausflüge stets parat und Probleme mit der Polizei, die unseren Fahrer wegen Handynutzung und der anfänglichen lächerlichen Unterstellung einer Entführung von Muzungus (uns „Weißen“) beschuldigten, wurden mit zwei Telefonanrufen ganz schnell erledigt. Vitamin B hat sicherlich noch niemandem geschadet – in Uganda eröffnet es in vielerlei Hinsicht aber ganz neue Mittel und Wege.